Kann man Trauer managen?

Ein kleiner Impuls PRO/CONTRA zum Umgang mit Tod und Trauer am Arbeitsplatz
#alleredenuebertrauer

C O N T R A
Nein! Gebt den Trauernden einfach den Freiraum, individuell mit ihren Gefühlen umzugehen
Schon die Frage klingt seltsam: Müssen wir jetzt auch noch die Trauer „managen“? Ist unserer Leistungsgesellschaft denn nichts heilig! Können wir nicht wenigstens mit unserer Trauer so umgehen, wie wir das wollen? Oder sollten wir jetzt auch noch unseren persönlichsten Schmerz wegrationalisieren? - Lasst uns gefälligst unsere persönlichsten Gefühle! Meine Trauer gehört mir!

Der Tod bleibt als unabänderliche Tatsache unseres Lebens ein Einschnitt, für den es keine Lösung gibt. Und die Trauer ist kein Problem, das man „wegmanagen“ müsste, sondern vielmehr Teil der Lösung. Wer jemals einen schweren Verlust erlebt habt, weiß um die Macht der Trauer: Ein Gefühl, das sich auf Körper, Seele, soziale Beziehungen, auf Materielles und Immaterielles auswirkt. Ein Prozess, der sehr viel Zeit, Energie, Achtsamkeit, Zuversicht, Geduld, Liebe und nochmals Liebe erfordert. Als Trauernde machen wir die Erfahrung:
  • Ich kann bewusst mit meinen Gefühlen umgehen, aber ich kann sie auf Dauer nicht wegdrücken.
  • Ich kann meine Trauer als etwas zutiefst Menschliches und als Band der Liebe anerkennen.
  • Ich kann liebevoll mit mir selbst umgehen und erfahren, was mich tröstet.
  • Ich kann der Trauer Raum geben und Rituale schaffen, wo mein Schmerz einen sicheren Ort hat.
Die moderne Arbeitswelt ist für diese sehr persönlichen Gefühle nicht der richtige Ort. Im Gegenteil, viele Trauernde sind froh, wenn der Arbeitsplatz eine „trauerfreie Zone“ bleibt. Wenigstens hier herrschen Routine, Struktur und Normalität. „Ich bin froh, dass ich arbeiten kann und dass ich mal nicht an den Verlust denken muss“, sagen viele Trauernde. „Ich mache meinen Job, ich erlebe mich als kompetent, es ist nicht alles anders, das Leben geht weiter – wie gut, dass ich arbeiten kann!“ So geht es sehr vielen Menschen.
Sprecht mich bloß nicht an! Das sagen die einen. Die anderen dagegen: Sprecht mich ruhig an! Es tut mir gut, wenn ich auch am Arbeitsplatz darüber reden kann.

So unterschiedlich die Persönlichkeiten, die Umstände, die Arbeitssituation – so unterschiedlich sind die Bedürfnisse von trauernden Kolleg*innen. Ein Patentrezept für den richtigen Umgang mit Trauer am Arbeitsplatz gibt es nicht. Es ist also müßig, alles und jedes regeln zu wollen. Viel besser sind die kleinen Zeichen ganz normaler menschlicher Anteilnahme: Eine liebevoll geschriebene Karte; die Teilnahme an der Trauerfeier, das Übernehmen einer Schicht bzw. eines Aufgabenbereiches, die herzliche Begrüßung am Arbeitsplatz am ersten Arbeitstag nach der Trauerfeier, das Respektieren von besonderen Tagen der Trauer wie Jahrestage, Geburtstage, Weihnachten.
 
Dafür braucht es keine Richtlinie oder einen Leitfaden, sondern Kollegialität, Empathie, Toleranz und Menschlichkeit. Und das ist doch gar nicht so schwer, oder?

 

P R O
Ja! Wenn Unternehmen sich bewusst und aktiv auf Trauer an Arbeitsplatz einstellen, wirkt das entlastend für Trauernde und Teams

Viele Trauernde fühlen sich mit ihren Gefühlen am Arbeitsplatz falsch. „Na, geht’s wieder?“ darf sich eine Kollegin anhören, die vor vierzehn Tagen ihren Mann verloren hat. Oder: „Kopf hoch, Kollege! Nur die Harten kommen in den Garten.“ Ratschläge und Sprüche wie „Die Zeit heilt alle Wunden“ oder „Wer weiß, wofür es gut war“ kennen viele Trauernde. „Man wundert sich, was einem da zum Teil an den Kopf geworfen wird,“ brachte es neulich eine Teilnehmerin in einem Trauerseminar im beruflichen Kontext auf den Punkt.
 
Schweigen oder unbedachte Sprüche sind fast nie böse gemeint. Sie sind Zeichen von Unsicherheit, Hilflosigkeit, Unwissenheit und eigener Betroffenheit. Was sage ich? Was darf ich fragen? Was ist privat und was gehört zu meinen Fürsorgepflichten? Hier haben gerade Führungskräfte in großen Unternehmen mit sehr formellen Hierarchien großen Beratungsbedarf. Was sich in Klein- und Familienunternehmen oft intuitiv und von alleine ergibt, wirft in Konzernen oder großen Verwaltungen Probleme auf: Was wissen Personalsachbearbeiter, Betriebsärzte, Beauftragte für Arbeitsschutz oder Betriebliche Gesundheitsmanager? Wie informiere ich das Team richtig, wenn ein Kollege längere Zeit nach einem Trauerfall ausfällt? Wie ist das mit dem Datenschutz? Welche rechtlichen Ansprüche – z.B. Sterbegeld, Urlaubsansprüche – bestehen? Welche besonderen betrieblichen Vereinbarungen gibt es?

Spätestens wenn ein Kollege in der Betriebstätte selbst oder bei einem tödlichen Arbeitsunfall stirbt, sind neben Trauer und Schock auch eine ganze Reihe von bürokratischen Herausforderungen zu bewältigen. Polizei und Staatsanwaltschaft nehmen Ermittlungen auf; diverse Stellen wie Unfall- und Rentenkassen sind zu benachrichtigen; die Kolleginnen und Kollegen im Haus wollen wissen, was passiert ist; über den „Flurfunk“ kursieren Gerüchte; es ist mit Presseanfragen zu rechnen… Wie hilfreich ist es dann, wenn sich Unternehmen mit dem Thema befasst und eine Notfallmappe angelegt haben!

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sollte eine solche Mappe enthalten.
  • Übersicht betrieblicher Vereinbarungen und rechtlicher Rahmenbedingungen
  • Organigramm und Vertretungsregeln (Wer informiert wen? Wer spricht mit den Angehörigen? Wer hält Behördenkontakt?)
  • Liste involvierter Behörden und Dienststellen mit Kontaktpersonen und Telefonnummern
  • Telefonnummern und Ansprechpartner der örtlichen Notfallseelsorge
  • gute Beispiele für Trauerbekundungen und Mustertexte
  • Linkliste zu lokalen Beratungsstellen
  • Basisinformationen zu Trauer und seelischen Belastungen

Der Begriff „Trauermanagement“ mag technisch und emotionslos klingen. Durch umsichtiges und professionelles Handeln bleibt Hinterbliebenen viel unnötiger Stress und zusätzliches Leid erspart. Den seelischen Schmerz nehmen kann dies den trauernden Kolleg*innen nicht, aber es kann unterstützend wirken und eine echte Hilfe sein. So wie praktische und konkrete Hilfe in vielen Fällen besser sind als hohle Worte, so erleichtert ein guter Leitfaden den Umgang mit Tod und Trauer auf ganz praktischer Ebene und es bleibt Raum für die Trauer selbst – für Kollegialität, Anteilnahme und ein gutes Miteinander.

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