Bettina_Wortwolke

Was einen offenen Trauer-Treff ausmacht

Seit vielen Jahren ist Bettina Siegel Teil unseres Teams. Die Diplompsychologin und Intensivkrankenschwester leitet mittwochs den offenen Trauer-Treff. Im Interview berichtet sie von ihren Erfahrungen.
IRIS GEHKRE: Den Trauer-Treff von TRAUART gibt es jetzt seit mehr als 20 Jahren. Erzähl mal, wie das angefangen hat...
BETTINA SIEGEL: Ich bin 1997 zu TRAUART gestoßen, damals noch unter dem Namen T.A.B.U. Im Rahmen meines Psychologiestudiums hatte ich einige Pflichtpraktika zu absolvieren; und da bin ich auf dieses damals noch eher neue Feld der Trauerbegleitung gestoßen und habe zunächst bei T.A.B.U. ein Praktikum gemacht. Zu dieser Zeit wurde gerade die allererste Ausbildung zur Trauerbegleiter*in angeboten, die ich dann begeistert durchlaufen habe. Aus dieser ersten Fortbildung entstand dann auch die Idee, zusammen mit zwei lieben Kolleginnen, Antje und Natalie, ein offenes Trauer-Café anzubieten.
 
Und du hast dann mit dem TRAUER-CAFE angefangen?
Ja, anfangs hatten wir uns den Namen TRAUER-CAFE gegeben. Dieses Angebot fand ja auch zur „Tee-Time“ statt. Es wurde tatsächlich auch Kaffee und Kuchen gereicht. Das machen wir inzwischen übrigens nicht mehr. Wir sind ja auch vor einiger Zeit mit dem Trauer-Treff in den frühen Abend gerückt. Damals hatten wir uns überlegt, dass es ein niederschwelliges Angebot geben sollte, das allen Trauernden offensteht. Und dann haben wir einfach mal ausprobiert, wie das gehen könnte. Anfangs hatten wir noch keinen festen Ablauf und keine feste Struktur. Das hat sich dann über die Jahre entwickelt.

Bettina, wir dutzen uns hier, weil wir uns auch persönlich kennen. Im Trauer-Treff bleibt ihr aber beim Sie, richtig?
Richtig, wir bleiben beim respektvollen Sie. Dazu muss man wissen, dass wir ein offenes Angebot sind, für das man sich im Prinzip nicht an- oder abmelden muss. Wir bitten zwar neue Teilnehmer*innen, dass Sie sich vorher melden oder beim ersten Mal etwas früher zu kommen. In Prinzip setzt sich die Gruppe aber immer neu zusammen. Wir wollen so niederschwellig wie möglich sein, da würde ein „Du“ manche überfordern. Die Teilnehmer*innen untereinander gehen aber meist sehr schnell zum „Du“ über.

Wie läuft denn ein Trauer-Treff ganz praktisch ab?
Zunächst einmal gibt es feste Uhrzeiten und eine feste Struktur. Der Trauer-Treff ist immer mittwochs (außer am letzten Mittwoch im Monat) von 16.45 Uhr bis 18.30 Uhr – ab halb fünf richten wir den Raum her mit den Teilnehmer*innen die dann dazukommen, stellen Getränke und Gebäck bereit. Der Tisch ist damit bereitet, übrigens wird dann zum Schluss auch gemeinsam aufgeräumt. Gut ankommen und gut gehen können, das ist schon einmal ganz wichtig. Bewährt hat sich dann auch ein fester Ablauf. Das sind dann im Prinzip sechs Schritte. Nach der Begrüßung beginnen wir mit einem kurzen Blitzlicht, jede*r erzählt mit einem Satz oder mit einem Wort, wie es ihm oder ihr gerade geht. Danach machen wir eine kurze Achtsamkeitsübung, eine Art Bodyscan, so dass man auch gut mit seinem Körper und seiner Atmung in Kontakt kommt. Danach gibt es immer einen thematischen Impuls. Das kann eine Frage, eine Fantasiereise, Bilder oder Texte zum Thema sein. Dieser Impuls soll dazu ermuntern, das auszudrücken, was gerade in der Trauer das eigene Thema ist und was im Moment an Trauergefühlen da ist. Dieser Austausch ist eigentlich das Herzstück des Trauer-Treffs, hier darf alles ausgedrückt werden, was ist. Deshalb ist uns auch so wichtig, dass hier Schweigepflicht herrscht, d.h. alles was andere hier mitteilen darf nicht nach Draußen getragen werden. Jede/r soll sicher sein, dass dies ein Schutzraum ist. Hier stützt sich die Gruppe dann auch gegenseitig. Und zum Schluss haben wir ein festes Abschluss-Ritual. Wir verbinden uns im Kreis stehend, reflektieren kurz, was wir in den gemeinsamen 105 Minuten erlebt haben, wie die Teilnehmer jetzt hier fortgehen und schließen dann wieder mit einem kurzen Blitzlicht. Dann machen wir zusammen „Klar Schiff“ und wir Leiter*innen tauschen uns dann noch kurz aus.

Wenn ich "Bodyscan", "Achtsamkeit" oder "Fantasiereise" höre - Lassen sich denn die Trauernden darauf ein?
Jede*r ist eingeladen sich soweit sie/er möchte einzulassen und wer uns und unsere Arbeit schon kennt weiß, hier geht es nicht um Leistung „Da-Sein genügt“. Sondern eben um Raum und Zeit seinen Gefühlen und Gedanken zur Trauer nachzuspüren und Ausdruck geben zu können, so wie es eben gerade geht. Und da sind diese Methoden sehr unterstützend. Niemand wird bedrängt mitzumachen, nur eingeladen. Jede/r erzählt nur das von sich was sie/er möchte. Da ergeben sich immer wieder ganz wunderbare Gespräche, so dass ein sehr lebendiger und tiefer Austausch zustande kommt. Manchmal fühlt es sich für die Teilnehmer*innen auch so an, als treten sie auf der Stelle, auch das ist im Trauerprozess völlig „normal“ und darf hier sein. So entwickelt sich jeden Trauer-Treff-Nachmittag neu und anders.

Ihr müsst also sehr flexibel sein und euch auf alles einstellen können...
Ja richtig, wir wissen nie, was oder wen wir gebucht haben, d.h. wie viele Trauernde kommen, wer kommt oder wie häufig die einzelne Teilnehmer*in kommt. Manche kommen nur einmal, manche mehrere Monate. Manche auch über Jahre. Das ist ganz unterschiedlich. Deshalb ist ja der feste Rahmen auch so wichtig. Diese feste Struktur macht es für alle leichter, die Teilnehmer*innen wissen was kommt und können sich besser auf sich selbst fokussieren. Wir Leiter*innen können mit der Struktur besser hinhören und hinspüren, was sich in der Gruppe tut. Gerade wenn sehr schwere Trauergeschichten erzählt werden, achten wir darauf, dass Teilnehmer*innen nicht mit Details konfrontiert werden, die eigene Traumata und Wunden aufreißen.

Das stelle ich mir nicht einfach vor: einerseits sollen Gefühle von Traurigkeit und Schmerz ausgedrückt werden, gleichzeitig soll es nicht zu sehr in die Tiefe gehen.
Das ist genau der Punkt. Wir versuchen eine Balance zu finden, den Schmerz zuzulassen und dafür Ausdrucksmöglichkeiten zu finden. Manchmal passieren in der Gruppe wunderbare Dinge, dass sich die Teilnehmerinnen gegenseitig sehr viel geben können. Wenn aber bei einem/r Teilnehmenden ein sehr großer Schmerz ist und sehr starke Gefühle mit erschreckenden Details geäußert werden, greifen wir sanft moderierend ein. Der/die Trauernde soll sich in ihrem Schmerz gesehen und angenommen fühlen, wir fassen das dann auch behutsam mit unseren Worten zusammen. Wir würgen also nicht ab, sondern achten darauf, dass die Gruppe nicht überfordert wird. Unser Trauer-Treff ist ausdrücklich keine Therapiegruppe und ersetzt auch keine Einzelbegleitung.
 
Du bist selbst Diplom-Psychologin, hilft dir das bei der Leitung des Trauer-Treffs?
Sicherlich ist das hilfreich. Ich bin mit Psychischen Erkrankungen vertraut, so dass ich erkennen kann, wenn andere therapeutische Angebote erforderlich sind. Ganz wichtig: Wir sind ein offenes Austauschangebot, aber keine Therapie. Mitunter kommt es jedoch vor, dass neue Teilnehmerinnen des Trauer-Treffs von ihrem Psychotherapeuten bzw. Arzt „geschickt“ werden. Eben als zusätzliches stützendes Angebot. Wir fragen auch danach.Trauer ist ja auch völlig normal und gesund. Wenn andere psychische Belastungen oder Erkrankungen dazukommen oder wir den Eindruck haben, hier braucht es mehr Unterstützung, dann weisen wir die Teilnehmer*innen auch auf Therapeutische Angebote hin. Manche gehen dann auch zu Dirk Matzik oder Christina Kudling in die Einzelbegleitung.

Wer gehört noch zum Trauer-Treff-Tream? Wie sprecht Ihr euch ab?
Zum Trauer-Treff gehören noch Birgitta Korth, Petra Ewert, Hadwiga Lehnert, Askan Auel und Kerstin Röttger. Wir treffen uns ca alle 6 Wochen zu einer gemeinsamen Runde, auch mit Dirk und Christina. Ansonsten sprechen wir uns auch spontan auf kurzem Weg ab. Wir achten darauf, dass wir beim Trauer-Treff meistens zu zweit sind. Dann kann man sich gut unterstützen, wenn es mal ein bisschen „strubbelig“ läuft. Das kann auch schon mal vorkommen.
 
Liebe Bettina, vielen Dank für das Gespräch. 
Und natürlich ein dickes Dankeschön für 22 Jahre ehrenamtliches Engagement in der Trauerbegleitung.
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